Warum eigentlich „frei sprechen“?
„Ich kann frei reden!“
Wenn jemand im Seminar diesen Satz in der Vorstellungsrunde sagt, bin ich skeptisch. Sie meint normalerweise, dass sie auswendig lernt. Dass sie ohne Rednerpult spricht. Er meint, dass er keinen Zettel braucht. Dass er die Einleitung seiner Rede fehlerfrei aufsagen kann.
Nach der ersten Übung weiß ich dann meistens, dass hier noch Luft nach oben ist. Derjenige hat zwar keinen Zettel in der Hand, spricht flüssig und bekommt unter Umständen Lob für seine Routine.
Aber mir fällt eine Menge auf:
- Er baut nach jedem Halbsatz ein „äh“ ein.
- Sie macht – völlig sinnfreie Pausen.
- Er betont VIEL zu VIEL.
- Sie ziiiiieht einzelne Woooorte in die Läääänge.
- Manchmal sind solche Melodien drin, wie wir sie von Stewardessen kennen.
Und beide gucken glasig in die Runde, ohne wahrzunehmen, was um sie herum passiert, weil sie sich sehr konzentrieren müssen. Manche Menschen wirken dann regelrecht unfreundlich.
Wenn ich von „frei sprechen“ rede, dann meine ich jemanden, der die Sätze in dem Augenblick baut, in dem er sie spricht. Er ist frei und locker, und trotzdem ist alles sehr genau vorbereitet. Er nimmt die Menschen im Raum wahr und fühlt sich auf der Bühne wie ein Fisch im Wasser. Wenn er das gut kann, hat er nach seinem Vortrag ein Publikum voll motivierter Fans vor sich sitzen, die das, was er macht, zu schätzen wissen.
Das kann man dann sogar hören. „Marschieren“ die Sätze oder „tanzen“ die Sätze? Klingt jeder Satz anders? Hat jeder Satz einen Unterton?
Das kriegen viele, die frei sprechen wollen, nicht ohne Anleitung hin. Es sei denn, man hat von Kind auf viel öffentlich geredet und es bereitet einem wirklich keine Schwierigkeiten, von der Bühne eine Gruppe von Menschen zu begeistern.
Alle anderen können das lernen. Beispielsweise in unserem Seminar „Frei sprechen für Moderatoren und Redner“.
Die Vorteile liegen auf der Hand
- Ich bin nicht abhängig von Folien (obwohl man die auch beim freien Sprechen benutzen könnte)
- Die Vorbereitung verkürzt sich enorm, wenn ich keine Texte mehr vorschreiben muss.
- Ich habe nichts in der Hand (sehr oft kommt ja noch ein Mikrophon dazu) und bin freier in der Gestik.
- Ich bin flexibler was Ablauf und Reihenfolge angeht.
- Ich kann spontan etwas einbauen und auf mögliche Pannen oder Einwürfe besser reagieren.
- Wenn ich oft das Gleiche sagen muss, werde ich nicht mehr dasselbe sagen.
- „So spricht doch kein Mensch!“ Diesen Vorwurf werde ich nicht mehr hören.
Und das Wichtigste ist: Menschen, mit denen ich befreundet bin, erkennen mich auf der Bühne wieder! Und das ist gar nicht so selbstverständlich.
Frei sprechen – aber wie?
So schwierig kann es doch eigentlich nicht sein, denn schließlich ist es etwas, das wir seit frühester Kindheit ganz selbstverständlich tun. Zugegeben, beim öffentlichen Reden kommt etwas hinzu: Die Angst, etwas falsch zu machen, etwas Wichtiges zu vergessen, sich zu versprechen und sich zu blamieren.
Mein Bewusstseins-Tipp: Authentizität schlägt Perfektionismus!
Machen Sie sich bewusst: Was lebendig ist, motiviert Ihr Publikum mehr und bleibt damit im Kopf! Menschen wollen andere Menschen auf der Bühne sehen, mit denen Sie sich identifizieren können. Warum sollte ein menschlicher Leseroboter Interesse wecken?! Und keine Angst: Für lange Zahlenreihen und knifflige Namen wichtiger Gäste dürfen Sie auch eine Moderationskarte oder einen Spickzettel hervorzaubern.
Mein Alltags-Tipp für mehr Eloquenz und einen größeren Wortschatz:
Täglich laut vorlesen! Den Kindern, dem Partner, dem Hund, sich selbst, gern auch dem Smartphone.
Meine Übungen für gutes Sprechdenken:
1. Erzählen Sie Ihrem Liebling ganz kurz, was in einem der kleinen Artikel auf der Titelseite Ihrer Tageszeitung oder Ihres Online-Nachrichtenportals steht, bevor er oder sie es gelesen hat.
2. Sprechen Sie 2 Minuten spontan drauflos, ohne sich vorzubereiten. Nutzen Sie gern ein Smartphone für eine Tonaufnahme. Das Thema können Sie selbst wählen, zum Beispiel:
· Begeistern Sie Ihre Chefin dafür, einmal in der Woche ein gemeinsames Team-Lunch auf Kosten des Unternehmens zu machen.
· Machen Sie einem Freund Ihren Standpunkt zum Renteneintrittsalter klar.
Los geht‘s!
Sie möchten endlich frei sprechen? Reden ohne abzulesen oder auswendig zu lernen – aber mit Plan im Kopf? Sprechertrainer und Kommunikationscoach Michael Rossié zeigt Ihnen seine Methode:
Wie klingt eigentlich eine schöne Stimme? Nicole Krieger klärt das auf unserem Youtube-Kanal im Interview mit Stimm- und Sprechtrainer Reinhold Weber.